Armes Darmstadt-Dieburg

Haushaltsentwurf 2022/23 offenbart, wie marode die Finanzen des Landkreises wirklich sind

Koalition zeigt sich nicht bereit oder in der Lage, auch nur das Notwendigste zur Sanierung des Kreises zu tun

Was eigentlich Routine sein sollte, geriet zum Schock: Der Entwurf des Kreisausschusses zum Doppelhaushalt 2022/23 offenbart eine Finanzlage des Landkreises Darmstadt-Dieburg, die nur durch das Wort „Desaster“ angemessen beschrieben werden kann.

Daraus geht hervor: Darmstadt-Dieburg ist in großen Schwierigkeiten und auf dem besten Wege bettelarm zu werden, sollte das wirklich beschlossen werden, was die Koalition aus SPD und CDU da vorgeschlagen hat.

Denn die Verantwortlichen verzichten fast vollständig darauf, gegen zu steuern. Was das heißt, zeigt ein Blick auf das verbliebene Eigenkapital. Es ist binnen zwei Jahren schon von 42,6 % auf 34,4% gesunken, und wird, wenn das so weiter geht, in wenigen Jahren aufgezehrt sein. „Bilanziell überschuldet“ nennt sich das, oder im Volksmund: Völlig pleite.

Erschreckend in diesem Zusammenhang auch eine andere Zahl, die aufhorchen lassen sollte: Die Gesamtverschuldung des Landkreises, also die Verschuldung der Kernverwaltung zuzüglich der Schulden aus den Eigenbetrieben Dadiwerk und Klinikum ist gerade dabei, die 1-Milliarde-Euro-Marke (!) zu überschreiten. Sie wird, zumindest nach den Zahlen im aktuellen Haushaltsentwurf Ende 2023 bei 1,125 Mrd. Euro liegen. Im benachbarten Darmstadt war allein das schon eine fette Schlagzeile und erregte Debatte über finanzpolitische Verantwortung wert. In Darmstadt-Dieburg scheint man hingegen zur Tagesordnung übergehen zu wollen.

Wobei in Darmstadt den Schulden Werte gegenüber stehen. Nicht einmal das aber gelingt in Darmstadt-Dieburg. Denn in diesem Haushaltsentwurf des Schreckens stehen wieder Liquiditätskredite in beträchtlicher Höhe. Für 2022 sind gut 34 Mio. Euro geplant und für 2023 sogar 74 Mio. Euro, mit entsprechender Fortsetzung in den Folgejahren. Das hat in Zeiten steigender Zinsen fatale Folgen: Bei nur 2% (die aktuellen Kreditmarktzinsen liegen bereits bei 2,65% und steigen weiter) ist in 2022 mit 700.000 Euro Zinszahlungen zu rechnen. In 2023 sind sogar bis zu 1,5 Mio. Euro wahrscheinlich.

Da passt das geplante Defizit im Ergebnishaushalt in Höhe von rund 30 Mio. Euro bestens ins Desaster-Bild, obwohl dieser Haushalt ja eigentlich ausgeglichen sein soll, also eine schwarze Null haben müsste. Selbst wenn tatsächlich mit höheren Steuereinnahmen zu rechnen wäre, könnte das allenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein sein. Zumal die Mehrkosten aus dem Ukrainekrieg noch gar nicht berücksichtigt sind.

Völlig jenseits jeder finanzpolitischen Vernunft sind auch die mehr als 44 Mio. Euro Defizit im Finanzhaushalt, die aber ebenfalls noch gar nicht das ganze Desaster abbilden, weil ein Finanzhaushalt ja bekanntlich erst dann ausgeglichen ist, wenn auch Zins und Tilgung erwirtschaftet werden. Hier fehlen also wohl eher rund 54 Mio. Euro, allein in 2023.

Merke: Für jeden Euro, den der Landkreis ausgibt, muss ein Kredit aufgenommen werden.

Was tut die Kreisregierung dagegen? Handelt sie? Mutet sie den Bürgerinnen und Bürgern Einschränkungen zu, um Schlimmeres zu verhindern? Nein weit gefehlt. Landrat und Kreisbeigeordnete tun gar nichts, obwohl sie sogar eine zunächst spannende Liste von 34 Konsolidierungsmaßnahmen vorlegen. Weil diese sich bei genauerem Betrachten zu einem beachtlichen Teil als heiße Luft erweisen, in wesentlichen Teilen höchst unsicher sind, mit geringer Eintrittswahrscheinlichkeit behaftet und mehr als einmal abhängig vom Wohlwollen Dritter. Ob wohl die Streichung des Zuschusses zum „Urlaub von der Pflege“ in Höhe von 5.450 Euro im Jahr angesichts ihrer Auswirkungen auf die Betroffenen angemessen und dazu geeignet ist, den Landkreis zu retten?

Man müsste eigentlich von totaler Politikverweigerung der Kreisspitze sprechen, die offenbar die unangenehme Aufgabe, mit Konsolidierungsmaßnahmen Teilen der Bevölkerung weh tun zu müssen, nicht wagen will oder kann. Wie stabil kann eine so kraftlose, konzeptlose, finanzpolitisch desolate Koalition noch sein? Wo bleibt das Verantwortungsbewusstsein der politisch Verantwortlichen, die offenbar seelenruhig den Landkreis in voller Fahrt gegen die Wand navigieren und dabei lautstark nach der Hilfe von Land (Stundung Hessenkasse) und Bund (Zuschüsse Klinikum) rufen, statt selbst das Lenkrad mit Konzept und Verstand herum zu reißen und endlich in die Bremsen zu treten?

Statt die Vorgaben des Regierungspräsidiums aus der Genehmigung des Haushaltes 2021 endlich umzusetzen, Personal abzubauen, Leistungen zu streichen, die sich der Landkreis nicht leisten kann und auch die Investitionen deutlich zu reduzieren, wird lieber weiter drauf gelegt, ein Haushalt und Wirtschaftspläne der schönen Wünsche zusammengestellt, deren Realisierung doch völlig unmöglich ist.

Statt zu sparen wo es nur geht, werden 14,5 neue Stellen für 3,909 Mio. Euro neu geschaffen, Schulbaumaßnahmen in Höhe von 80 Mio. Euro geplant und nicht einmal versucht, ein Haushaltssicherungskonzept vorzulegen, das einen Weg aus dem Desaster weist. Zumindest gibt die Koalition selbst zu, dass die starke Verringerung der Instandhaltungsausgaben ab 2018 ein schwerer Fehler war und hier ein erheblicher Sanierungsstau entstanden ist, den man aktiv mit deutlich mehr Geld beheben will. An sich eine sehr gute Idee, allein: Wie und mit welchem Geld soll das wohl finanziert werden?

Durch eine Erhöhung der Schulumlage um 1,55%, die in 2023 sofort wieder abgesenkt wird, obwohl sie doch kostendeckend sein soll, so dass die Gesamtumlage bei 55% verbleiben kann. Wäre es nicht ehrlicher, allen zu sagen, dass der Gesamtumlagesatz noch erheblich weiter steigen wird? Was höhere Grundsteuern in den Kommunen erfordert und die Bürgerinnen und Bürger viel Geld kosten wird?

Wie arm ist unser Landkreis Darmstadt-Dieburg, der nicht nur kein Geld mehr sondern noch nicht einmal eine Kreisregierung hat, die bereit und in der Lage ist, das Richtige und das Notwendige zu tun: Personal reduzieren, Freiwillige Ausgaben kürzen, Investitionen verschieben, die Digitalisierung forcieren, Strukturen modernisieren und verschlanken, sofortige Stellenbesetzungssperre und eine Haushaltssperre in Kraft setzen.

Dieser Haushalt ist keinesfalls beschlussfähig. Wer es dennoch tut, muss verantworten, dass die Menschen im Landkreis in den nächsten Jahren noch viel mehr leiden müssen als es jetzt schon notwendig ist.

Dieser Haushalt kann nicht genehmigt werden. Dass der im Dezember 2021 beschlossene Nachtragshaushalt 2021 noch immer nicht genehmigt ist, spricht Bände…

Mit diesem Haushalt wird die Zukunft des Landkreises Darmstadt-Dieburg aufs Spiel gesetzt.

Das RP wird wohl eher nicht mit scharfen Auflagen die Aufgabe der Kreisregierung übernehmen und selbst die Konsolidierung einleiten. Stattdessen wird sie diesen finanzpolitischen Offenbarungseid wohl an den Kreistag und die Kreisverwaltung zurück überweisen mit der Note: 6, ungenügend, Nachsitzen. Noch mal versuchen das Ganze. Womit der Landkreis dann das zweite Jahr in Folge ohne regulären Haushalt wäre.

Was uns bleibt ist nur Kopfschütteln über einen Landkreis Darmstadt-Dieburg, der sich wie eine hoch verschuldete Person verhält, die sich ein zu großes Haus und eine zu teure Putzhilfe leistet, gleichzeitig einen nagelneuen Porsche kauft und mehrere teure Urlaubsreisen bucht, obwohl für all das kein Geld da ist und sie sich stark verschulden muss. Sie tut das im klaren Bewusstsein, dass bald selbst der letzte Euro vom Sparbuch aufgebraucht sein wird und die Schulden so weit wachsen werden, dass bald gar nichts mehr geht. Statt aber Maß zu halten und endlich zu sparen, werden Freunde und Familie angebettelt und das Girokonto weiter überzogen, was noch zusätzliche Schulden bringt. Pleite. Armes Darmstadt-Dieburg.

Bürgerinnen und Bürger: Da kommt was auf Euch zu! Es kann nicht sein, dass die Kommunen die Steuern erhöhen müssen, weil im Kreis der Sparwille fehlt. Da macht man es sich nun wirklich zu einfach und vergisst, dass die Kommunen selbst fast alle an der Belastungsgrenze stehen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert